Briefe aus Brooklyn 1

Jeder Anfang hat etwas Zauberhaftes, dachte ich mir, und wollte mich von unserem neuen Leben in Brooklyn überraschen lassen. Klar, die Wohnung hatten wir zumindest vorher gefunden und besichtigt, wir waren die allernächsten Straßen rauf-und runtergegangen, aber da erschien alles noch sehr unwirklich. Jetzt geht es mit weit offenen Augen die Straßen entlang und hinein ins echte Leben.

Gleich beim ersten Hundespaziergang zum Park blieb ich an diesem hübschen Bücherkasten hängen, den Wohlmeinende sicher extra für Gestrandete wie mich dort aufgehängt haben, damit ich sofort zu meinem ersten Buch komme. Es waren in dem Moment nur zwei Bücher darin, eines für Kinder, eines für mich: Writing Workshop. The Essential Guide. Darin geht es allerdings, wie ich wenig später auf der grünen Wiese im Park lernte, nicht darum schreiben zu lernen, sondern zu lernen, wie Writing Workshops abzuhalten sind und wie wichtig sie sind. Und weil hier immer etwas dicker aufgetragen wird, heißt es auf der ersten Seite: „For the new generation of teachers. You will have a greater impact on the life of this nation than you can imagine.” Das Buch ist von 2001 …

Lesefutter auf der Straße

Wer nicht im Bücherschrank fündig wird, kann aber auch einfach die Straßen in Park Slope (unsere Neighborhood in Brooklyn) entlanggehen und Ausschau halten, wer welche auf die Straße gestellt oder gelegt hat. Jeden Tag gibt es neues Lesefutter, kistenweise oder handverlesen, oder auch mal ein Einzelstück auf einem Steingeländer, einer Treppenstufe. Manchmal ist unschwer auf die früheren Besitzer/innen rückzuschließen, manchmal komme ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus, was für “antike“ Stücke, oder Besonderheiten da zutage kommen. Ja, ich musste mich schrecklich beherrschen und einmal half nur, dass der sturzbachartige Regen, der hier immer wieder niedergeht, die Kisten doch zu arg durchweicht hatte. Und dass ich nicht die einzig Neugierige bin, stellte ich fest, als sich ein Grüppchen bestehend aus zwei Obdachlosen und einem Handwerker bildete, die in Ruhe die Bücher in Augenschein nahmen und sich rege darüber unterhielten.

Es stehen aber nicht nur Bücher auf der Straße, sondern jeder stellt Dinge, die nicht mehr gebraucht werden, einfach so auf die Straße. Eine ständige Herausforderung für mich, weil ich schon seit meiner Kindheit eine Sachensucherin bin, wie mein damaliges Vorbild in Sachen Fundstücke: Pippi Langstrumpf. Ok, ich gebe es zu – ich konnte nicht anders, als ich eine kleine alte Kommode sah: Mein Mann, der sie normalerweise nie mitgenommen hätte, musste über seinen Schatten springen, weil wir Hochzeitstag hatten. Und irgendwann wird sicher auch das vierte Bein des Möbels repariert ;-). Aber keine Sorge: Polstermöbel nehme ich sicher nicht mit – da muss ich dann doch immer an die Big Bang Theory-Folge denken, in der sich eine Ratte im Polster befand und die gibt es hier natürlich auch. Sie sehen aber nicht so gruselig aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte.

Summer Reading

Zurück zu den Büchern! Nachdem es in unserem Viertel zu meinem großen Bedauern keinen Buchladen gibt und meine Tochter dringend Bücher für das „Summer Reading“ brauchte, haben wir den Unnennbaren ein bisschen Geld in den Rachen geworfen und unsere erste Lieferung an die neue Adresse bekommen. Zum Glück war der Päckchenbote erfinderischer als der Briefträger und klemmte das Päckchen zwischen Tor und Tür in eine Nische – es goss wiedermal – der Briefträger hingegen lässt den Briefkasten immer offenstehen, wenn er etwas eingeworfen hat. Sorry, ich weiß, die Deutschen beschweren sich immer über alles, aber wichtige Dokumente total aufgeribbelt und durchweicht vorzufinden, ist nicht lustig. Oh, ich schweife schon wieder ab.

Summer Reading heißt, dass die Schüler/innen ihrer Jahrgangsstufe angemessene Leselisten auf der Website der Schule einsehen können und über die Ferien wenigstens vier der darauf vorgeschlagenen Bücher gelesen haben sollten – deswegen mussten wir uns ein wenig beeilen. Wie ernst das genommen wird, wissen wir noch nicht, aber es ist eine gute Idee und die Bücher klangen eins interessanter als das andere.

Hier könnt ihr die Auswahl, die meine Tochter getroffen hat, sehen. Das Spannende dabei: Sie liest nicht gerne, es ist echt anstrengend für sie, und nun auch noch in einer Fremdsprache? Selbst ich war aufgeregt, auf welchem Niveau die Bücher wohl sein würden, und ob ich sie problemlos verstehe. Und da kommt das kleine Brooklyn-Wunder: Tochter liest (mittlerweile schon zwei der Bücher zu Ende durch) und versteht und schreibt Vokabeln auf und ich bin ziemlich erleichtert (und natürlich auch stolz) und selbst riesig gespannt auf die neue Schule. Bei einer kurzen Schulbesichtigung konnten wir auch die große und gemütliche Schulbibliothek sehen und erfuhren, dass es zwei Bibliothekarinnen gibt, die gut Auskunft geben können, und waren beeindruckt, dass eine Public High-School so gut ausgestattet ist. Ein Start mit spannenden Büchern ist auf alle Fälle ein guter Start, finde ich – von allem Weiteren lassen wir uns überraschen!

 
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