Briefe aus Brooklyn 4

Letztes Jahr saß ich gespannt vor dem Livestream und konnte kaum fassen, was ich da zu sehen bekam: Der erste Women’s March – scheinbar aus dem Nichts geboren – nahm historische Ausmaße an. Washington geflutet von Menschen mit pinken Mützen, Frauen mit frechen, genialen, mutigen und zornigen Plakaten und eine Bühne, auf der berühmte Frauen wie Madonna und Gloria Steinem und bisher Unbekannte das Mikrofon wie im Staffellauf weitergaben. Madonna war vor lauter Begeisterung kaum mehr von der Bühne zu bekommen, die engagierten jungen Frauen sprachen zum ersten Mal überhaupt vor großem Publikum und vertraten ihre Interessen.

Ich war unheimlich inspiriert, und als ich später eine „Speakerinnen Corner“ für den Frauentag in Köln vorbereitete, bewegte mich dieses spontane und beeindruckende Wortergreifen und das Erobern der Straßen noch immer so sehr, dass ich die Idee weitertragen und die Teilnehmerinnen inspirieren wollte, es diesen Women’s-March-Vorbildern nachzutun.

Women’s March in NYC

Nun hatte ich dieses Jahr die Chance, in New York mit dabei zu sein und war am Samstagmorgen sehr aufgeregt: Geballte Menschenmassen sind eigentlich überhaupt nicht mein Fall, auch die Vorstellung, vielleicht kaum mehr aus den Subway-Gängen zu kommen, nicht. Obendrein hatte es einen Aufruf auf Facebook gegeben, was im Falle von Störungen der friedlichen Demonstration zu tun wäre, und es knallt ja auch wirklich öfter mal an der einen oder anderen Stelle in NYC.

Nachdem ich mit meinem Mann aber schon an unserer Metro-Haltestelle in Brooklyn die sympathischen Menschen sah, die sich aus unserem Viertel auf den Weg machten, und wir sehr nett ins Gespräch kamen, verflogen die Bedenken, und ich begann mich richtig zu freuen. Bereits in der Metro wurden die Plakate der jeweils anderen fotografiert und wir neugierig gemacht, was wir wohl alles zu sehen bekämen.

Start am Columbus Circle

Tatsächlich waren das gemeinsame „Immer mehr werden“ und das Fluten in breiten Strömen aus der Metro eine tolle, keine erschreckende Erfahrung. Oben angekommen, stellten wir fest, dass wir sozusagen parallel zur eigentlichen Marsch-Route schon einmal einem Demonstrationszug angehörten, der versuchte, zum Startpunkt zu kommen. Und dass wir mit Sicherheit keine einzige Rednerin würden hören und sehen können, aber auch so bestens unterhalten waren. Doch wir bemühten uns, so viel wie möglich aufzuschnappen und zu erfassen, wer sich da alles für was engagiert.

Vereinzelt gab es „Black Lifes Matter“-Vertreter*innen, insgesamt waren aber eher weniger schwarze Amerikaner*innen zu sehen, was jedoch auch dem Alltag in Manhattan entspricht – je weiter man in Richtung Central Park kommt, desto weißer wird das öffentliche Leben. Hispanische Schüler*innen setzten sich für ihre Gleichheit ein und skandierten, dass sie jetzt – nicht morgen – Gleichberechtigung fordern.

Anti-Trump und für die Dreamer

Von Anfang an fiel uns auf, wie viele Männer mitdemonstrierten – viele aus Solidarität, einige aber auch, um ihre persönliche Anti-Trump-Demo zu machen (es gab die bitterbösesten Karikaturen), wie natürlich die ganze Demo eine für Frauenrechte, aber gleichzeitig auch immer eine gegen Trump ist. Viele waren auch gekommen, um für die sogenannten Dreamer zu demonstrieren, die Kinder von illegalen Einwander*innen, die bisher von einer Obama-Regelung geschützt wurden.

 

Kindern ein eigenes Recht zuzugestehen und sie nicht für etwas zu bestrafen, das nicht in ihrer Macht liegt, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Die Verwaltung, die Schulbehörde und alle anderen Institutionen hier in NYC sind auch längst darauf eingestellt. Das heißt, hier wird ein bereits etabliertes System sinnlos zerstört – wieder einmal.

Frauenpower und solidarische Männer

Man mag ja vielleicht behaupten, die Männer wären nur dabei, weil ihre Frauen sie dazu genötigt hätten, aber wie falsch man damit liegt, wird spätestens deutlich, wenn man Gesprächsfetzen aufschnappt. Beispielsweise wie ein Opa seiner Enkelin am Handy erzählt, dass er gerade für sie demonstriert. Oder wenn man vier Schüler in der Metro sieht, die ein Plakat zum Thema „Nein heißt Nein“ mit sich tragen und ihre Mitschülerin ohne das Plakat gehen kann. Und ja – ich behaupte jetzt mal, dass das in Deutschland schwerer vorstellbar ist –, Jungs und Männer tragen hier auch pinke Mützen, weil ganze Familien mitmarschieren und gern auch mal drei Generationen gemeinsam unterwegs sind.

Wir marschieren bei strahlendem Sonnenschein, was wirklich eine sehr glückliche Fügung ist, denn die Temperaturen sind noch immer eisig. So herrscht Festtagsstimmung. Nachdem sämtliche Seitenstraßen gesteckt voller Menschen sind, wird der Hauptzug immer wieder abgesperrt, die Menschen aus den Seitenstraßen dürfen mit auf die Hauptroute, und dann geht der gesamte Zug weiter bis zum nächsten Block. Obwohl also permanent gar nichts mehr geht, bleiben alle höflich und gelassen, versuchen sich gegenseitig zu helfen und einander zu informieren. Auch die Polizist*innen sind gut gelaunt, unterhalten sich mit den Demonstrant*innen, die umgekehrt für deren Arbeit danken.

Nach mehreren Stunden machen wir uns auf den Heimweg, begeistert darüber, dass ständig Menschen nachströmen und es überhaupt nicht auffällt, wenn die, die zuerst da waren, schon längst wieder zu Hause sind, weil andere gerade erst dazustoßen. Auf den Straßen verkaufen fliegende Händler die passenden T-Shirts, Aufkleber, Anstecker und vieles mehr. Aber mein T-Shirt werde ich erst tragen, wenn der Winter hier vorbei ist – um mich und andere daran zu erinnern, jeden Tag füreinander und die gemeinsame Sache einzutreten. Es hat mir jedenfalls noch selten so viel Spaß gemacht wie am 20. Januar 2018. Und das nächste Mal habe ich auch ein Plakat dabei!

Copyright Fotos: Stephanie Hanel

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