Briefe aus Brooklyn 6

Ein Buch für alle New Yorker

New York ist eine Stadt der Lesenden – inoffiziell lässt sich das an den vielen Lesenden in der Subway feststellen, die Richard so gerne fotografiert. Es ist wirklich faszinierend zu sehen, dass sogar dicke Bücher auf den sowieso schon beschwerlichen täglichen Weg zur Arbeit mitgeschleppt werden. Und dass es da wirklich auch um das materielle Buch geht, begreift die Beobachterin spätestens, wenn sie eine Kassiererin in einer Pizzeria in den Pausen in einem Hardcover lesen sieht. Aber auch offiziell gibt die Stadt sich Mühe, ihrem großen Ruf als Verlagsstadt gerecht zu werden, und rief zu der Aktion „One Book, One New York“ auf, in der die Bevölkerung aus fünf vorgeschlagenen Büchern dasjenige auswählen durfte, das dann alle lesen sollen – eine Millionenstadt im Lesekreis-Modus sozusagen. Ich hatte die Plakate in der Metro zu spät entdeckt, meine Stimme fiel also nicht ins Gewicht, aber gewonnen hat auch so das Buch einer Autorin: „Manhattan Beach“ von Jennifer Egan, die in Brooklyn lebt. Egan selbst äußert sich in einem kleinen Video recht cool dazu, aber das ist natürlich schon ein Coup. Der Verlag spendierte tausendfünfhundert Exemplare für die öffentlichen Büchereien und das Buch stand und steht natürlich auch in allen Buchhandlungen an prominenter Stelle. Die Protagonistin ist übrigens eine (im Buch die erste) Militärtaucherin. Wenn ich es gelesen habe, berichte ich gerne mehr. Aber vielleicht seid ihr ja schneller als ich?

Viele verschiedene Menschen lesen während sie in der Subway sitzen in gebundenen Büchern
Metro reading. Fotos: Richard Zinken

Books Are Magic

Meine Bekannte Elizabeth, die ich durch Zufall beim Weg zum Women’s March kennenlernte, ist praktischerweise auch immer auf der Suche nach schönen Buchläden und interessanten Büchern und so empfahl sie mir „Books Are Magic“, den Buchladen der Autorin Emma Straub. Vier Stationen Metrofahrt entfernt, finde ich mich in der bunten und sympathischen Neighborhood „Cobble Hills“ wieder und werfe wie immer viele interessierte Blicke, bevor ich in den Buchladen abtauche, der mir auf Anhieb sympathisch ist – freundliche Begrüßung, angenehme Temperatur, schön gestaltet, luftig. Und was steht da gleich Nettes in einem Durchgang? Ein Gedichte-Automat. Wie früher mit den Kugeln, in denen Ringe und anderer kleiner Kruschkram war, zum Münze einwerfen und drehen. Ich fische zwei Bücher aus einem Regal: „Notes from a Public Typewriter“ und den Comicband „Present“.

Zu sehen ist ein rotes Buchcover mit maschinegetippten Sprüchen.

„Notes from a Public Typewriter“ ist das Ergebnis einer genial einfachen Idee. Ein Ehepaar kündigt seine Jobs in New York, geht zurück in die Heimstadt Ann Arbor in Michigan, eröffnet einen Buchladen – Literati Bookstore – und: stellt eine alte Schreibmaschine auf. Da steht die Maschine, Blatt eingespannt und wartet auf den oder die erste Benutzerin. Und sie musste nicht lange warten … die Sprüche finden ihren Weg an die Wand darüber, später kommt noch ein Designer dazu, der sie auf die Außenmauer am Laden überträgt, Menschen kommen und lassen sich dort fotografieren und die Geschichte nimmt ihren Lauf. Im Buch sind Sprüche und Fotos und bezaubernde kleine Essays vom Herausgeber versammelt. So erfreulich das ist, wenn Dinge ins Rollen geraten – die Kehrseite ist natürlich der Effekt, dass die Unschuld vom Anfang verloren geht, wenn nun Menschen extra anreisen, um ihre Botschaften zu hinterlassen. Das hat immer noch Charme, aber nicht mehr den des Verborgenen, das im Stillen ans Licht kommt.

Zu sehen ist ein Buchcover mit drei Gucklöchern, hintern denen sich die Zeichnungen der Cartoonistin Leslie Stein verbergen.„Present“ ist ein Comic in Tagebuchform der jungen Cartoonistin Leslie Stein, und dass ihre Zeichnungen recht schnell sehr bekannt wurden, ist schon ein kleines Wunder, denn sie sind hauchzart und ihre Figuren haben nur Augen, keine Nasen und keine Münder. Das klingt etwas seltsam, funktioniert aber erstaunlich gut. Leslie Stein lebt schon lange in Brooklyn und natürlich ist es besonders nett, wenn man eine Stelle, an der sich ihr Buch-Ich befindet, dann erkennt, weil man selbst schon dort war. Ansonsten ist das vorherrschende Lebensgefühl, das der Comic transportiert, sehr von Understatement geprägt: Sie lebt eben da, ist neugierig und aufgeschlossen für die kleinen Dinge und die Randbemerkungen, aber sie ist nicht verliebt in die Stadt. Sympathisch ehrlich eben. Niemand kann jeden einzelnen Tag irgendeinen Gewinn aus dem Flecken Erde ziehen, an den es einen verschlagen hat. Nicht einmal, wenn der Ort Brooklyn oder New York heißt.

Buch-Premiere in der Synagoge

Auch wenn wir hier natürlich noch so viel zu entdecken haben, dass wir uns immer noch im Ausnahmezustand befinden. Und es gar nicht selbstverständlich für uns ist, dass uns die Rabbinerin Rachel Timoner zur Buchvorstellung begrüßt, die ‚ihre‘ Synagoge (Congregation Beth Elohim) zu einem Ort der Debatte gemacht hat und selbst aktiv in der „Resist“-Bewegung ist.

 

Man sieht das Innere einer Synagoge, Publikum von hinten und auf der Bühne Madeleine Albright und eine Journalistin, die ihr Fragen stellt.
Madeleine Albright stellt ihr Buch „Fascism – A Warning“ am Erstveröffentlichungstag in einer Synagoge in Park Slope vor. Foto: sh

Im Gespräch mit einer Journalistin stellte Madeleine Albright in dieser Synagoge dann ihr aktuelles Buch „Fascism – A Warning“ vor. An Albright scheiden sich die Geister – auch diesmal gab es wieder Proteste von Menschen, die ihre politisch unbedachte Äußerung zu den Sanktionen gegen den Irak noch immer gleichsetzen mit der Verantwortung für den Tod von Millionen von Kindern. Das Publikum war allerdings gekommen, um sich zum Widerstand gegen Trump motivieren zu lassen und so möchte Albright auch ihr Buch verstanden wissen. Sie sagt, dass der Stuhl, von dem aus die Demokratie verteidigt werden muss, gegenwärtig unbesetzt ist. Beeindruckend, wie souverän und mit ungebrochener Überzeugungskraft diese Frau die Bühne und das Publikum für sich und ihre Überzeugungen einnimmt. Und sie wirft natürlich mehr als besorgte Blicke nach Europa.

Brown Girl Dreaming

Und weil in Amerika die Schlagzeilen weiterhin voll von Diskriminierungen und gewalttätigen Übergriffen sind – worüber man ironischerweise schon fast froh sein muss, denn bisher waren ungerechtfertigte Übergriffe auf schwarze Amerikaner*innen und andere diskriminierte Gruppen ja noch nicht einmal der Berichte wert – freue ich mich über alles, was die Black Community an ungebrochenem Lebensmut, Familiensinn, Kunst, Musik und Literatur dagegensetzt. Black Lives matter!

Auf dem Foto ist die Gewinnerin des ALMA-Awards 2018, Jaqueline Woodson, zu sehen.
Jacqueline Woodson. Foto: Carlos Diaz, CC BY 3.0

Da passt es gut in mein Wunschbild, dass die Brooklyner Autorin Jacqueline Woodson den diesjährigen Astrid Lindgren Memorial Award gewonnen hat – aktuelle Bücher: „Brown Girl Dreaming“ und „Another Brooklyn“ – und zu lesen, was ihr diese Ehrung bedeutet:

„It means the world has been watching and paying attention, and given the state of our country right now, that makes me very hopeful. It also means I’ll be able to get books into the hands of so many more young people who will be able to reflect on what is happening in this country and connect it to their own lives. It feels like the beginning of a much larger conversation and that’s very exciting to me.“

 

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